Rennbericht Silverstone: Auf den Kopf gestellt
That’s it, würde der gemeine Brite wahrscheinlich sagen, setzte er das Rennresultat und die sich daraus ergebenen Folgen für die Meisterschaft in landestypischen Understatement ins rechte Licht. Denn während Tobias Stolp ungefährdet seinen sechsten Triumph in Serie eintütete, erlebten seine engsten Verfolger einen Tag zum Vergessen. Dabei kam es zum Anfang wie zum Ende zum großen Knall: Während Engelsiepen seine Siegchancen schon nach weniger als 500 Metern mit seinem Dienstwagen davonfliegen sah, verlor Mario Söllner mit einem folgenschweren Verbremser in der letzten Kurve das Podium und zwei weitere Positionen. Den Pokal mitnehmen durfte schließlich Christian Boll, der die dritte Position jedoch keinesfalls geerbt, sondern mit beherztem Kampf gegen den Aston Martin verdient hatte. Der Frust der Herausforderer dürfte sich noch an der Tatsache verstärkt haben, dass nicht nur Tobias Stolp in Silverstone unerreichbar war, sondern auch Lars Zunker im Tyrrell. Mit seinem zweiten Platz verkürzte er seinen Rückstand auf Platz zwei der WM im letzten Rennen vor der Sommerpause auf gerade einmal nur noch acht Punkte.
Fassen wir doch noch einmal kurz zusammen, was bisher geschah. Sieben Rennen hatte die formel1-liga.de in der Saison 2021 schon hinter sich gebracht, bevor sich der Tross zu seinem Abschlussfest vor der Sommerpause auf den Weg nach Silverstone machte, wo gleichzeitig auch die erste Saisonhälfte beschlossen wurde. Und hatte es nach vier Saisonläufen noch so ausgesehen, als würde der formel1-liga.de nach Jahren der Stolpschen Dominanz in ihrer Jubiläumssaison endlich einmal wieder so etwas wie Spannung um die Fahrermeisterschaft blühen, hatte sich diese Aussicht nach dem summer in the city – den drei zurückliegenden Rennen in Monte Carlo, Baku und Montreal – doch erheblich eingetrübt. Der amtierende Champion hatte drei Starts nämlich in drei Siege umgemünzt, während es seine beiden engsten Verfolger im Kampf um den Titel, Mario Söllner und Kai Engelsiepen zusammengerechnet nur auf eine einzige Podestplatzierung brachten. Dabei ist es gar nicht mal so sehr die herausragende eigene fahrerische Leistung des Dauersiegers – die er zweifelsfrei erbringt – als vielmehr die Tatsache, dass sich seine Konkurrenz regelmäßig selbst ins Bein schießt, die dem Alpine-Piloten schon vor dem Rennen in Silverstone einen komfortablen Vorsprung von 42 Punkten eingebracht hat. Denn zwangsläufig war sein Sieg nur in Monte Carlo. In Baku entschied er einen Grand-Prix für sich, der eigentlich für Tyrrell reserviert war. In Montreal profitierte er vom Technik-Pech des Ferrari von Kai Engelsiepen einerseits und vom Fallen der Flagge eine Runde bevor der Debütant Patrik Hanko seine eindrucksvolle Aufholjagd krönen konnte, andererseits. Während Stolp also Rennen für sich entscheiden konnte, die er nicht unbedingt gewinnen musste, verloren Engelsiepen und Söllner dahinter sogar noch Punkte, die eigentlich schon sicher schienen. Und so hatte es Stolp eben bis zur Ankunft in Silverstone geschafft, im zweiten Saisonviertel aus vier Punkten Rückstand einen Vorsprung herauszuarbeiten, der ihn selbst dann noch relativ ruhig müsste schlafen lassen, sollte er seine Sommerpause um ein bis zwei Rennen verlängern. Denn im Schatten des Kampfes um Platz eins, hatte sich heimlich still und leise auch Lars Zunker zurück an das Verfolgerduo gearbeitet, so dass Engelsiepen und Söllner ihren Blick nicht mehr unbedingt nach vorne, als vielmehr nach hinten richten müssen. So viel also zur Ausgangslage vor dem abschließenden Grand Prix vor der Sommerpause in der Wiege der realen Formel 1 in Silverstone. Diesem Traditionskurs im Herzen Englands, den viele Teams völlig zu Recht als ihr Heimspiel betrachten, mit klingenden Namen wie Luffield, Woodcote und Copse, der Hangar Straight und der Stowe und nicht zuletzt der legendären Kurvenkombination Maggotts, Becketts und Chapel. Und während dort, wo Tradition aus jeder Pore Asphalt atmet nach längerer Rennpause die beiden Williams von Emanuel Gerer und Gert Wickom zur Freude des gesamten Fahrerfeldes ihre Rückkehr in den Grid feierten, verzichteten nur Jörn Dreier im Alfa Romeo (urlaubsbedingt) und der bereits erwähnte Neuzugang Patrik Hanko auf eine Reise auf die Insel. 19 Piloten, so viele wie seit dem zweiten Saisonrennen in Bahrain nicht mehr, stellten sich also der Qualifikation für das über 39 Runden führende Rennen auf der mittlerweile drittlängsten Strecke im Kalender. Wobei ganz stimmt das so nicht, denn der Italiener Stefano Papia, hockte zwar einsatzbereit in der Boxengasse, verfehlte die Startberechtigung für das Qualifying letztlich aber um fünf Runden.
In den Top-10 waren die Positionen im ersten Qualifikationsabschnitt schnell bezogen. Die für das Weiterkommen erforderliche Zeit von 1:26,004 hatten acht der zehn Piloten, die sich für das Q2 qualifizierten bereits in ihrem ersten Stint erzielt. Nur Bastian Kupke und Ludwig Conrads brauchten einen zweiten Versuch, um das Ticket für den zweiten Abschnitt zu lösen. Durchsetzen konnte sich auf den harten Reifen Kai Engelsiepen, der Tobias Stolp um eine Zehntel hinter sich ließ. Überraschend stark auf Platz drei bestätigte Christian Boll die Form der Ferrari, der Ralf Bohnert um die Winzigkeit von 13 Tausendstel hinter sich lassen konnte. Auch Mario Söllner qualifizierte sich mit drei Hundertstel Rückstand in Sichtweite zur zweiten Startreihe für den entscheidenden Abschnitt und ließ beide Tyrrell hinter sich. Christian Wickom konnte zeitentechnisch mit den fünf Autos vor sich Schritt halten, benutzte aber auch als einziger den Medium-Reifen für seinen Einzug ins Q 2. Die schon genannten Bastian Kupke im Haas und Ludwig Conrads für Red Bull vervollständigten die Top 10, in dem sie die letzten beiden Plätze für den finalen Abschnitt um 4 Hundertstel gegenüber Rolando Tejeda verteidigten. Auch die beiden Österreicher Johann Asanger und Max Schoner durften sich berechtigte Hoffnungen auf einen Platz in den Top Ten machen, qualifizierten sich jedoch mit einer Zehntel Rückstand auf Conrads nur für die Plätze 12 und 13. Daniel Böhme konnte sich nach einem guten ersten Versuch nicht mehr entscheidend steigern und rutschte bis auf die 14.Position zurück. Jürgen Bechtel teilte sich die achte Startreihe mit Gert Wickom, während sich dessen Williams-Teamkollege Emanuel Gerer um 0,039 Sekunden gegenüber Marcel Heidtmann im Haas durchsetzen konnte.
Im zweiten Qualifikationsabschnitt ließen weder Tobias Stolp noch Kai Engelsiepen irgendwelche Zweifel daran aufkommen, wem die erste Startreihe gehören würde. Schon der erste Versuch des Hochheimers hätte für die Pole-Position gereicht, genau wie der erste Versuch auch Kai Engelsiepen in die erste Reihe gebracht hätte. Tobias Zunker im Tyrrell war in seinem zweiten Versuch auf dem Weg, zumindest den Ferrari zu attackieren, übertrieb es aber am Bremspunkt der letzten Schikane und warf damit eine aussichtsreiche Runde über Bord. Und da auch der erste Versuch gründlich missglückt war, musste im dritten Anlauf eine Sicherheitsrunde her. Dabei war für ihn gerade die Vorbereitung am Freitagabend noch recht hoffnungsvoll verlaufen. Dem älteren Zunker-Bruder war dabei in 1:24,778 nämlich eine Runde geglückt, die ihn durchaus in die Nähe der ersten Startposition gebracht hätte. So aber reichte es mit 1: 25,144 nur für den verhängnisvollen sechsten Startplatz, exakt 33 Tausendstel (!) hinter seinem Bruder, der Dritter wurde. Noch in diese Winzigkeit zwischen den beiden Tyrrell hatten sich sowohl Christian Boll, der den dritten Startplatz sogar nur um 5 Tausendstel verfehlte, und Mario Söllner geschoben. Ralf Bohnert konnte indes an seine Leistung in Q 1 nicht mehr anknüpfen und qualifizierte sich für die siebte Startposition. Auch er hatte in seinem ersten Versuch ein Dreher eingebaut, als er in Luffield etwas zu früh am Gas war. Er schob aber direkt eine zweite Runde hinterher, die ihm letztlich schon seine Bestzeit einbringen sollte und zumindest den siebten Startplatz sicherte. Christian Wickom tat sich auf den gleichen Waffen wie die Konkurrenz erwartungsgemäß schwerer als in Q 1, und verlor die achte Position an den wieder einmal starken Bastian Kupke. Auch Ludwig Conrads setzte sich letztlich gegen den erfahrenen Mercedes-Veteran durch und platzierte sich 0,008 Sekunden vor ihm auf der neunten Position.
Es war also alles angerichtet für ein enges Duell um den Sieg zwischen WM-Leader Tobias Stolp und dem aktuell Dritten der Fahrerwertung, der das Momentum gegenüber dem Sieger der ersten beiden Rennen, Mario Söllner, seit Baku auf seine Seite drehen konnte. Hilfreich aus Ferrari Sicht war dabei auch die Performance des zweiten Autos. Denn Engelsiepens Teamkollege Christian Boll konnte aus seiner vierten Startposition heraus Schützenhilfe mindestens gegen Mario Söllner leisten und der Speerspitze im Team auch taktische Möglichkeiten im Hinblick auf den Boxenstopp einräumen. Doch die komplette Dramaturgie des Rennens wurde schon nach wenigen hundert Metern auf den Kopf gestellt 7 Rennen lang war alles gut gegangen. Ok Tobias Zunker hatte sich in Melbourne gedreht und Patrick Hanko in Montreal aber von Start Unfällen war der Zirkus in diesem Jahr bislang verschont geblieben. Selbst in Monaco ging es abgesehen von Blechschäden im hinteren Feld überraschenderweise verhältnismäßig diszipliniert zur Sache. Dafür schepperte es im letzten Rennen vor der Sommerpause gleich zu Beginn dann richtig.
Die zweite Startreihe kam deutlich besser aus den Blöcken als die erste. Während Engelsiepen im Ferrari nur schleppend los gekommen war, hatte WM-Leader und Pole-Setter Tobias Stolp sogar mit durchdrehenden Rädern zu tun. Sowohl Christian Boll als auch Lars Zunker schoben sich daher schon vor der ersten Kurve direkt an die beiden Fahrzeuge vor sich heran, während es für Engelsiepen sogar beinahe noch gereicht hätte, sich den vor ihm starten Alpine ein zu schnappen. Doch dem Essener ging im Diffusor des Champions ein wenig die Luft aus. Lars Zunker nutzte die Außenbahn um sich vor den Ferrari zu setzen und trieb auf die Ideallinie zurück, um sich vor Kurve zwei in Stellung zu bringen. Dort hatte Engelsiepen im Windschatten jedoch leicht den inneren Curb von Kurve 1 getroffen und wurde so in die Linie des mittlerweile etwa eine halbe Wagenlänge vor ihm fahrenden Tyrrell getragen. Mit dem linken Vorderreifen tauchte der Weltmeister des Jahres 2014 in den schwarz-weiß lackierten Renner des Traditionsrennstalls ein und wurde um die eigene Achse gedreht. Dahinter waren Boll und Söllner dem Chaos entkommen. Ralf Bohnert, der von seinem siebten Platz einen ordentlichen Start erwischte, folgte Zunker und Söllner auf der äußeren Linie und blieb ebenfalls verschont. Tobias Zunker im zweiten Tyrrell konnte dem taumelnden Ferrari hingegen nicht mehr ausweichen und traf ihn volle Breitseite. Und während Engelsiepen trotz des Überschlags, in den ihn der ältere Zunker-Bruder schickte, alle Fahrzeugteile behalten konnte, verlor der wiederum im dritten Rennen in Folge früh den Frontflügel und musste sein Fahrzeug einmal ohne Abtrieb um die 5,9 Kilometer lange Strecke schleppen. Dabei war der Tyrrell-Pilot jedoch nicht alleine. Denn in der Folge des Scharmützel zwischen Tyrrell und Engelsiepen wurde wieder einmal Max Schoner unschuldiges Opfer des Zwischenfalls. Während der große Teil des Verfolgerfelds innen einen Weg an der Unfallstelle vorbei fand, suchte Aston Martin Pilot Johann Asanger sein Heil über die äußere Auslaufzone von Kurve zwei, um vor Kurve drei wieder auf die Strecke einscheren zu können. Im Gras ging dem Agenten im Dienste Ihrer Majestät mit der Startnummer 77 jedoch die Bremswirkung verloren und zu allem Überfluss stieg er auch noch am Curb auf. Wie ein Torpedo schlug Asanger in die Front seines machtlosen Landsmanns im Red Bull ein und riss dem Goldi im Feld die Nase ab. Nicht das erste Mal in dieser Saison dass Red Bull-Piloten ihre Flügel noch während des Rennens verleihen mussten. Im Parallelflug mit Tobias Zunker steuerte Schoner seine Crew an und handelte sich irgendwo unterwegs auch noch eine Strafe ein, die ihn letztlich schon vor Aufnahme seines Rennens eine komplette Runde gekostet hat.
Völlig unbeeindruckt von dem Chaos um sich herum beendete Tobias Stolp die erste Runde als Führender, gefolgt von Lars Zunker und Christian Boll im zweiten Ferrari. Auf Position vier fand sich Mario Söllner wieder, der sich ebenso aus allem heraushalten konnte wie Ralf Bohnert auf der fünften Position. Christian Wickom machte in dem Getümmel sogar gleich 4 Positionen gut, indem er nicht nur die verunfallten Engelsiepen und Zunker hinter sich lassen konnte, sondern auch Bastian Kupke und Ludwig Conrads, die im Eindruck des Unfalls vor ihm mehr verzögern mussten als der Mercedes-Pilot. Rolando Tejeda rückte auf die neunte Position vor, gefolgt von Daniel Böhme, Während sich Kai Engelsiepen als 13. noch hinter den beiden Williams von Emmanuel Gerer und Gerd Wickom wieder einsortierte. Immerhin blieb er damit vor Jürgen Bechtel und Marcel Heidtmann, so wie vor Stefano Papia, der aus der Boxengasse gestartet war. Tobias Zunker hatte nach seinen Stopp als 18. schon 35 Sekunden Rückstand auf den 17. Johann Asanger, während Max Schoner noch einmal 23 Sekunden auf Zunker einbüßen musste.
Deren beider Rennen war damit ebenso erledigt wie das um den Sieg, denn während Max Schoner seinen dritten Ausfall in den letzten vier Rennen hinnehmen musste, reichte es für Tobias Zunker am Ende als 13. nur noch zu drei Pünktchen. Mehr noch, zum ersten Mal seit dem Großen Preis von Großbritannien im vergangenen Jahr musste Zunker eine Überrundung über sich ergehen lassen. Seit dem dritten Platz von Monte Carlo zeigt die Formkurve des Tyrrell-Piloten damit steil nach unten. Vor allem deshalb, weil er es nicht mehr fertig bringt Rennen vorfallsfrei zu Ende zu bringen. Stolp an der Spitze geriet seinerseits zu keinem Zeitpunkt mehr in Gefahr, seinen sechsten Sieg in Folge unbedrängt ins Ziel zu tragen. In 39 Runden war Stolp 32 mal der schnellste Umlauf geglückt.
Nur in der Folge seines gegenüber Christian Wickom um sieben Runden verzögerten Boxenstopps gelang es frischer bereiften Fahrzeugen, seine Rundenzeiten zu unterbieten. Gegen die Gefahr eines Undercuts hatte sich der Alpine-Pilot schon frühzeitig abgesichert. Bis zu dessen Boxenstopps in Runde 24 nämlich hatte sich Stolp bereits um knapp 8 Sekunden von Lars Zunker an der zweiten Position abgesetzt. Der wiederum erlebt ein ähnlich ereignisloses Rennen wie der spätere Sieger, wenn auch mit Verzögerung.
Denn Christian Boll im Ferrari hielt sich acht Runden lang hartnäckig im DRS-Fenster des Tyrrell Piloten und untermauerte damit seine starke Verfassung auf dem traditionellen Flughafenkurs von Silverstone. Ihm wiederum gelang es sogar, Ralf Bohnert aus seinem DRS-Fenster zu schütteln und genoss eine Lücke von etwa zwei Sekunden auf den vierten Platz. Ab Runde 9 jedoch. vergrößerte auch Zunker seinen Vorsprung in ähnlichem Stil wie der Spitzenreiter, so dass die Lücke zum Ferrari bis zu seinem Boxenstopp ebenfalls auf sieben Sekunden angewachsen war. Während die ersten beiden Positionen im Rennen also schnell bezogen waren, betrieb der Rest des Feldes vor Eintritt in die Sommerpause mit dem bisher spektakulärsten Rennen des Jahres noch einmal Werbung in eigener Sache. Kai Engelsiepen ließ schon in der dritten Runde die beiden Williams hinter sich und machte sich an die Aufholjagd auf Daniel Böhme, der bereits um rund 5 Sekunden enteilt war. Unterdessen schnappte sich Ralf Bohnert den WM-Zweiten Mario Söllner und nahm die vierte Position ein. Allerdings bekam er weder den Aston Martin noch den weicher bereiften Christian Wickom auf Platz sechs abgeschüttelt. Mehr noch, selbst Ludwig Conrads und Bastian Kupke konnten dem Alpha Tauri nahezu problemlos folgen so dass sich die aus den ersten vier Rennen bekannte Perlenkette diesmal um die Plätze vier bis acht bildete, bis sich der schon überrundete Max Schoner zwischen seinen Teamkollegen und den Haas Piloten setzte. Engelsiepen brauchte unterdessen nur 3 Runden, um die Lücke zum Alpine von Daniel Böhme zu schließen. Als es allerdings bereits sogar um die neunte Position ging, weil Rolando Tejeda unfreiwillig den Platz an beide hergab. Ab Runde acht forderte der Medium-Reifen am Mercedes von Christian Wickom jedoch seinen Tribut und löste ihn aus dem Kampf um die vierte Position heraus, den nun Bohnert und Söllner unter sich ausfahren mussten. Wickom aber war von nun an gegen Ludwig Conrads gefordert, ohne Unterstützung des DRS-Systems aber chancenlos gegen den besser bereiften Red Bull. Engelsiepen ließ Böhme in der neunten Runde hinter sich und versuchte, die Lücke zu Bastian Kupke zu schließen, der seinerseits begann, auf Christian Wickom aufzuholen. Alleine war der Ferrari Pilot dabei allerdings nicht, denn Rolando Tejeda tat es dem Essener gleich und ließ Böhme hinter sich, um sich an den Diffusor des Ferrari zu hängen und gemeinsam mit ihm aufzuholen. Als Bohnert und Söllner dann anfingen, die Lücke zu Christian Boll zu schließen ereilten dem Urgestein der Liga dieselben Probleme wie schon in China. Seine Hardware stieg aus und schickte ihn in einen fulminanten Dreher vor Stowe. Dadurch verlor der Alpha Tauri nicht nur die Position gegen Söllner, sondern zu allem Überfluss auch noch gegen die Streitgruppe um Conrads, Wickom und Kupke, so dass der direkte Konkurrenz um die Position fortan wieder Kai Engelsieprn hieß, dem der McLaren von Tejeda nur eingeschränkt folgen konnte. Auf Platz vier eröffnete nunmehr Mario Söllner die Jagd auf Christian Boll. Im Mittelfeld hingegen hatten sich die Abstände in der Zwischenzeit weitgehend eingependelt. Daniel Böhme als 11. fehlten nach 15 Runden bereits fünf Sekunden, auf Tejeda, hatte aber seinerseits sieben Sekunden Vorsprung auf Asanger herausgefahren, der wiederum drei Sekunden vor Jürgen Bechtel lag. Dahinter folgte ebenfalls im Abstand von drei Sekunden Emmanuel Gerer. Die Lücke zu seinem Teamkollegen war schon auf zehn Sekunden angewachsen, bevor im Abstand von jeweils wieder drei Sekunden zuerst Marcel Heidtmann und dann Stefano Papia folgten, der seinen weichen Reifen aus der Startphase aber schon nach 14 Runden in Rente geschickt hatte. Tobias Zunker war dadurch ebenfalls wieder auf fünf Sekunden an die 17.Position herangerückt, musste aber noch ein weiteres Mal die Box aufsuchen.
Christian Wickom strich in der 17. Runde die Segel, um sich frische Reifen zu holen. Kupke war an dem Mercedes vorbei gerutscht und auch Bohnert und Engelsiepen rückten in Siebenmeilenstiefeln an den Husumer heran. Und so eröffnete der Mercedes Pilot den Reigen der Boxenstopps.
Der erste, der mit den harten Reifen gestartet war und sein Auto zum Service stellte, war Kai Engelsiepen. In Runde 21 lenkte er seinen Ferrari zur Crew um seinen Pflicht-Boxenstopp zu absolvieren. Und das war aus Ferrari-Sicht der goldrichtige Zeitpunkt, denn nur um einen Hauch vor dem Alpine von Daniel Böhme kehrte der derzeit Dritte der Fahrermeisterschaft auf die Strecke zurück und konnte freie Fahrt genießen. Diesest Glück hatte zuvor Christian Wickom eben noch nicht, so dass er hinter den Ferrari zurückfiel. Als Bohnert Engelsiepen eine Runde später an die Box folgte, hatte der die Position gegen den Ferrari virtuell längst verloren. Noch eine Runde länger warteten sogar Bastian Kupke und Ludwig Conrads, was zumindest der Haas-Pilot mit dem Positionsverlust gegenüber Engelsiepen bezahlen musste. In der gleichen Runde wie Kupke und Conrads kam übrigens auch Christian Boll einem Undercut des Aston Martin von Mario Söllner zuvor. Als Söllner zwei Runden später seinerseits zum Boxenstopp kam, war die Lücke zum Ferrari schon wieder auf fast drei Sekunden aufgerissen. Zunker und Stolp waren in der bequemen Position mit ihren Stopps jeweils auf die Fahrzeuge hinter ihnen reagieren zu können, so dass der Tyrrelll eine Runde nach Boll und der Alpine eine Runde nach Zunker stoppten. Im Zuge der Boxenstopps wurde auch das hintere Feld wieder zusammengeführt, wobei sich Gerer und Wickom am längsten Zeit ließen, um ihre Crews aufzusuchen. Aber Daniel Böhme, 4 Sekunden hinter den Williams, führte Eine Stoppbereinigte Kampfgruppe um Stefano Papia, Johann Asanger und Jürgen Bechtel an, die sich um die Position 13 -16 stritt. Böhme, mit frischeren und weicheren Reifen ausgestattet als der Italiener in Mercedes- Diensten, trat die Flucht nach vorne an, der Asanger und Bechtel gerne gefolgt wären. Doch beim Angriff auf Papia verschluckte sich der Aston Martin und tauchte ins Kiesbett ein, was ihn zur Aufgabe zwang.
In der Zwischenzeit tat sich Engelsiepen im zweiten Stint deutlich schwerer als erwartet, seine Aufholjagd über Platz 6 hinaus noch fortzusetzen. Und nicht nur das: Hinter ihm klopfte vehement auch Kupke an und versuchte die Position zu übernehmen. Nach dem kleinen Rückschlag von Kanada gelang dem Haas wieder ein Grand Prix auf seine spezielle Art. Er hielt sich aus allen Scharmützeln heraus, fuhr überlegt und fehlerfrei und erwischte fast das den perfekten Zeitpunkt für seinen Boxenstopp. Dafür wurde er nicht nur positionstechnisch kräftig belohnt, sondern auch mit einem ernsthaften Positionskampf gegen Engelsiepen. Ralf Bohnert spielte zu diesem Zeitpunkt bereits keine wesentliche Rolle mehr in diesem Rennen. Mit vier Sekunden Rückstand auf Kupke und fünf Sekunden Vorsprung auf Christian Wickom fuhr er – immer noch durch Hardwareprobleme belastet – im Niemandsland rund um Position 8 herum. Aber nach vorne schien auch für Kai Engelsiepen nicht mehr viel zu gehen, denn Conrads auf Platz fünf baute seinen Vorsprung auf drei Sekunden aus, lag aber selber schon knapp 10 Sekunden hinter Christian Boll und Mario Söllner.
Letzterer war gezwungen, es nunmehr auf der Strecke zu richten, nachdem er den Undercut gegen den Ferrari verpasst hatte. Acht Runden vor dem Ende erhöhte Söllner schließlich seine Ambitionen auf den ersten Podestplatz seit dem Großen Preis von Spanien. In der 32 Runde erwischte Söllner den besseren Ausgang aus Chapel, was ihnen die Position brachte, sich auf der Hangar-Straight an den Ferrari heran zu saugen. Doch der Ferrari Pilot zwang ihn geschickt auf die äußere Linie vor Stowe, und ließ keine Zweifel daran aufkommen, seine Position mit allen Mitteln verteidigen zu wollen. Söllner schien sich allerdings davon überraschen zu lassen, dass der Ferrari ihn auf der Außenbahn verhungern lassen wollte und verpasste die Chance zum Overcross-Move. Stattdessen, lenkte er in die Linie des Ferrari Piloten ein und tauchte in dessen Seitenkasten. Der Schubser des Aston Martin zwang Boll in eine Korrekturbewegung, die zu einem zweiten Kontakt zwischen den Autos führte und beide in den Dreher schickte.
Auch wenn die Positionen unverändert blieben witterte Ludwig Conrads Morgenluft. Denn als Söllner den Dreher aus dem Kreuz geschüttelt hatte, klebte ihm der RedBull bereits im Heck. Doch die Freude im Red Bull Lager war nur von kurzer Dauer, denn nur eine Runde später kassierte Conrads eine Durchfahrtsstrafe wegen Cuttings. Die dritte Position aufgegeben hatte Söllner allerdings noch nicht. Bis zur letzten Runde schloss der WM Zweite wieder auf den Ferrari auf. Und dann boten die letzten 5,904 Kilometer Action, die normalerweise für ein ganzes Rennen gereicht hätte. In der vorletzten DRS-Zone saugte sich Söllner wieder an Boll heran, wieder zwang der Ferrari Pilot den Aston-Martin auf die äußere Linie. Aber dieses Mal ließ sich der WM-Zweite mittragen und schaffte es bis zum Einlenkpunkt vor Luffield neben dem Ferrari zu bleiben. Nunmehr auf der Innenbahn war der Aston Martin auf der besseren Linie und so schienen die Würfel zugunsten des Franken gefallen zu sein. Doch nach war eine weitere halbe Runde zu gehen und Boll blieb dran, erwischte den besseren Ausgang aus Chapel und versuchte es nun seinerseits vor Stowe den Konter zu setzen. Doch Söllner gelang es die Position zu verteidigen und gerade als es entschieden schien, der letzte Bremspunkt des Rennens auf die Konkurrenten wartete, verschätzte sich Söllner fatal und verlor seinen Aston Martin. Beide Ferrari schlüpften durch und auch Bastian Kupke ging fast auf dem Zielstrich noch frech an Söllner vorbei. Statt auf Platz drei beendete Söllner den Grand Prix also auf Platz sechs, während Boll sein erstes Podium seit Interlagos vor einem Jahr feiern durfte. Auch Engelsiepen rückte dadurch noch auf die vierte Position vor.
Ludwig Conrads rettete sich nach seiner fälligen Boxendurchfahrt zumindest noch auf Platz sieben und damit vor Rolando Tejeda ins Ziel. Christian Wickom eroberte in der letzten Runde Platz neun von Ralf Bohnert, der nach dem dritten Dreher im Rennen mit Platz zehn vorlieb nehmen musste. Für Tobias Zunker, der die Linie als 13. kreuzte dürfte es ein schwacher Trost gewesen sein, dass in das Rennen um Platz fünf der Wertung wenig Bewegung kam. Denn Daniel Böhme wurde 12. und legte damit einen weiteren Punkt Vorsprung im Alpine-Konto an. Jürgen Bechtel landete noch vor dem Passauer auf Platz elf und sorgte so dafür, dass Alpha Tauri trotz des Rennverlaufs um Bohnert mit McLaren gleichziehen konnte. Gert Wickom nahm beim Comeback zwei Punkte mit aus Silverstone und sorgte auch für Gleichstand mit Alfa Romeo. Den letzten Punkt brachte unterdessen Stefano Papia mit nach Stuttgart. Pause, Freunde, durchatmen.
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