Rennbericht Kanada: Gestatten, Hanko!

Mit seinem fünften Sieg in Folge gelang Alpine-Pilot Tobias Stolp ein vorentscheidender Schritt zu seinem fünften Titel in Folge. Das geriet in Anbetracht des Debuts von Patrik Hanko für McLaren-Mercedes aber beinahe schon zur Randnotiz. Der 26-Jährige Slowake fuhr eine überlegene Bestzeit in Q 1, sicherte sich eine dominante Pole-Position und verfehlte den perfekten Einstand in die formel1-liga.de um weniger als eine Viertelsekunde- obwohl er nach der ersten Runde Letzter war. Kai Engelsiepen schlug Mario Söllner. Aber auch wenn sich beide Fahrer schadlos hielten, dürften die engsten Rivalen des amtierenden Dominators ihre WM-Hoffnungen angesichts von mehr als 40 Punkten Rückstand begraben müssen, während die Hoffnungen des Tyrrell-Teams auf den Titel in der Team-WM trotz einer herben Schlappe in Montreal neuen Auftrieb erhalten hat. Weil eben jener Hanko auch am Stuhl des Langzeitchampions zu sägen scheint.

In der Formel 1 wird alles was sich in Zahlen ausdrücken lässt, früher oder später auch in Zahlen ausgedrückt. Das kann man unbarmherzig nennen, unnachgiebig von mir aus auch, unfair? Ja, vielleicht manchmal auch das. Aber im Fußball gibt es den berühmten Spruch, der einen Sonntags Vormittags bei Sport 1 drei Euro kostet: Die Tabelle lügt nicht. Und so geben Zahlen am Ende des Tages schlicht und ergreifend das Bild wieder, dass eine Rennserie wie die formel1-liga.de im Moment abgibt.

Fangen mal mit Statistik an. 21 verschiedene Fahrer haben an den sechs absolvierten Rennen teilgenommen. 20 davon sind mindestens einmal in die Wertung gekommen. Und jeder, der in die Wertung gekommen war, hatte auch mindestens einen Punkt geholt. 12 Fahrer waren bei jedem Rennen dabei, aber nur noch fünf Piloten haben auch alle Rennrunden absolviert. Acht Fahrer haben in jedem Rennen Punkte geholt, sieben davon bis zum Großen Preis von Aserbaidschan stets die Positionen eins bis fünf unter sich ausgemacht. Und aus diesem Kreis hatte es auch schon jeder mindestens einmal aufs Podium geschafft. Sonst aber keiner. In Sachen Führungskilometer wird es noch ein bisschen exklusiver. Erst fünf Fahrer genossen bisher zumindest vorübergehend den Platz an der Sonne, sogar nur zwei wurden als Gewinner abgewunken. Aber immerhin durften auch jene fünf, die zumindest eine Runde geführt haben, bisher auch jeder einmal von der Pole-Position starten. Wenn es auch immer äußert knapp zugegangen war. Der durchschnittliche Vorsprung des Pole-Setters auf seinen Nebenmann in Reihe eins betrug gerade einmal 0,065 Sekunden. Nie war ein Trainingsschnellster seinem nächsten Verfolger um mehr als 0,104 Sekunden enteilt.

Und was in der Spitzengruppe anfängt ist etwas, dass sich durch das gesamte Feld zieht. Klar, es gibt da diese kleine Klippe, die hinter Tobias Zunker und vor Bastian Kupke aufgeht und nur selten durchlässig ist, aber auch dahinter werden die Abstände wieder extrem eng, die Zweikämpfe spannend, und was für die Liga halt besonders wichtig ist, die Stimmung untereinander ist gut. Kurzum, auch das Mittelfeld bietet Rennsportfans damit die Action, die die Zuschauer für Motorsport begeistern, und übertragen auf die virtuelle Rennsportwelt den Fahrern das gibt, was sie suchen. Beinharte Zweikämpfe und der Kick dabei, gepaart mit einer harmonischen Kameradschaft.

Ausdruck findet das insgesamt funktionierende Gesamtgefüge, aber auch die Liebe und Leidenschaft dazu, auch das letzte Hundertstel noch zu finden auch in dem, was die Piloten bis zum Großen Preis von Kanada an Trainingszeit investiert haben. Beinahe 120.000 Kilometer hatten die Piloten außerhalb offizieller Sitzungen in ihren Fahrzeugen der 2021er Generation verbracht bis in Q1 des Großen Preises von Kanada die Ampeln auf grün schalteten.  Die wenigsten davon, 253 um relativ genau zu sein, saß Patrik Hanko in seinem Dienstwagen. Zugegeben, viel Zeit hatte er auch nicht, sich mit den Eigenheiten der 2021er Fahrzeuggeneration vertraut zu machen, war er doch erst weniger als 14 Tage zuvor der formel1-liga.de beigetreten.

Aber das, was Hanko dabei zeigte, konnte sich durchaus sehen lassen. Mit großem Vorsprung setzte er sich schon bei seiner ersten Ausfahrt an die Spitze des Zeitentableaus. Ein genauerer Blick verriet jedoch: im Gegensatz zum üblichen Prozedere hatte der 26-jährige seine ersten Versuche im McLaren mit leeren Tanks absolviert. Als die gewöhnlichen Anwärter auf die ersten 10 Startplätze ihrerseits Sprit abließen, schien die Einordnung des Neuzugangs zunächst abgeschlossen zu sein. Schnell ja, aber zumindest in Kanada eher dabei. Dann aber schaltete die Ampel auf Grün für die erste der beiden Qualifikationseinheiten und Mclaren begann mit Drama. Hankos Teamkollege Rolando Tejeda kam nämlich gar nicht erst aus der Box, nachdem Technik-Schwierigkeiten seine Verbindung zum Server lahmgelegt hatten. Vor Beginn der Qualifikation war kein Fix mehr möglich und so war der letzte Startplatz besetzt, bevor es überhaupt losging.

Hanko ließ sich von den Problemen seines Teamkollegen nur mäßig beeindrucken. Schon mit seinem ersten Versuch setzte sich der Slowake an die Spitze des Klassements und gab diese bis zum Schluss nur einmal ganz kurz an Engelsiepen ab. Doch legte er im Gegensatz zur Konkurrenz noch einmal sechs Zehntel zu. Lars Zunker kam ihm am nächsten, aber auch ihm fehlten bereits gute drei Zehntel auf die Zeit des Debütanten, wohingegen der Vorsprung auf die hinter ihm platzierten Bohnert und Engelsiepen in den für formel1-liga.de üblichen Sphären von weniger als einer Zehntel lag. Für Champion Stolp wurde das Q 1 hingegen zu einer für seine Verhältnisse ungewöhnlichen Zitterpartie. Zwar hätten auch seine ersten Zeiten bereits für einen Einzug ins Finale gereicht, allerdings mit weniger als einer Zehntel Vorsprung. So war der 30-jährige gezwungen, im zweiten Versuch nachzulegen. Das gelang ihm zwar auch, aber mehr als Platz 6 sprang für den Vierfachweltmeister nicht mehr heraus. Leidtragender war ausgerechnet sein Teamkollege Daniel Böhme, dem nach einem guten ersten Versuch keine Verbesserung mehr gelang, und so mit ansehen musste, wie er bei ablaufender Uhr zunächst von Ludwig Conrads, dann von Christian Wickom und zu guter letzt noch nach ablaufen der Uhr von Christian Boll im Ferrari aus dem sicheren Bereich geschubst wurde. Böhme qualifizierte sich damit als 11. und hatte als erster Starter die freie Reifenwahl. Doch weder Bastian Kupke, noch Jörn Dreier und Max Schoner konnten dem Passauer in Alpine-Diensten noch gefährlich auf die Pelle rücken. Sie qualifizierten sich im Respektabstand von rund zwei Zehnteln für die Positionen 12 bis 14. Bereits beendet war das Qualifying zu diesem Zeitpunkt für Jürgen Bechtel und Marcel Heidtmann, die beide über eine Installationsrunde nicht hinaus kamen und das Rennen aus Reihe 8 in Angriff nehmen mussten.

In Q 2 setzte  Hanko nahtlos fort, was er in Q 1 begonnen hatte. Schon sein erster Versuch hätte für einen Startplatz in Reihe 1 gereicht, nur Kai Engelsiepen konnte die Zeit von 1:09,629 in der laufenden Qualifikation noch unterbieten. Doch da hatte Hanko längst den Hammer fallen lassen und sich erneut um vier Zehntel gesteigert. Am Ende brummte Hanko der versammelten Konkurrenz in seinem ersten Qualifying dem Rest des Feldes fast drei Zehntel auf. Mario Söllner auf Platz 4 fehlten gar 4 Zehntel. Zwischen Engelsiepen und Söllner machte es Stolp besser als im ersten Abschnitt und stellte seinen Alpine auf Platz drei. Ralf Bohnert auf Platz 5 und Tobias Zunker auf Platz 6 fehlten weniger als eine Zehntel auf die Zeit des Alpine und auch dahinter war Lars Zunker nicht weit entfernt. Trotzdem, nach der Doppel-Pole von Aserbaidschan ein eher ernüchterndes Qualifikationsergebnis für den Zweiten der Team-WM, der beide Fahrzeuge auf einen Start mit Medium-Reifen gesetzt hatte, wohingegen zum Beispiel Christian Boll als Achter auch wie die übrige Spitzengruppe auf hart setzte. Christian Wickom und Ludwig Conrads, die sich wie die Zunker-Brüder für einen Start auf Medium entschieden haben, komplettierten die Top-10.

Ausgerechnet am Start zeigte der Neuzugang und Polesetter dann jedoch Nerven. Als die Ampeln erloschen, erwischte Hanko den schlechtesten Start. Engelspiepen huschte schon am McLaren vorbei, bevor der erste Bremspunkt erreicht war. Am Bremspunkt dann hatte sich Stolp schon neben den Slowaken gesetzt und positionierte seinen Alpine auf der besseren Innenbahn für Kurve 2. Um zumindest im Beschleunigungsduell zu dieser Kurve  die besseren Karten zu haben und dem WM-Leader doch noch die Tür zuschmeißen zu können, probierte es Hanko über den Kerb von Kurve 1 und unterschätzte dabei die Wirkung der kalten Reifen. Der Mclaren -Mann kam ins Trudeln und sein Wagen ließ sich nach einer kleinen Berührung mit dem Champion nicht mehr einfangen. Der Dreher warf den Polesetter aus der Spitzengruppe  auf den letzten Platz zurück, während Engelsiepen vor Stolp mit der Führung davoneilte.

Weiter hinten im Feld erwischten sowohl Boll als auch Wickom einen ausgesprochen guten Start und setzten den Tyrrell von Lars Zunker unter Druck. Aber die Tyrrells machten sich mit beiden Autos breit auf der Strecke und verhinderten das Zurückfallen des Zweiten von Baku. Seite an Seite gingen die Brüder durch Kurve 1 und beim Beschleunigen aus der zweiten Kurve war Lars Zunker an seinem Bruder vorbei auf die fünfte Position geschlüpft. Er nahm die Verfolgung von Ralf Bohnert auf, der sich von seinem fünften Startplatz aus direkt an das Heck des Aston Martin von Mario Söllner klemmte. Rund um die ersten fünf bildete sich damit wieder einmal die altbekannte Perlenkette, in der sich die Fahrer gegenseitig zunächst nicht viel antaten. Engelsiepen schien seine Führung gegenüber Stolp genauso verwalten zu können, wie der seinen zweiten Platz gegen Mario Söllner, wohingegen weder Bohnert noch Lars Zunker in Angriffsnähe zu den vorderen Fahrzeugen kamen. Tobias Zunker ließ eine Lücke zwischen 2 und 3 Sekunden aufgehen, um einerseits den Reifen zu schonen und andererseits noch genügend Gummi in Reserve zu haben, sollte vorne etwas passieren. Doch zunächst passierte nichts, außer dass die Spitzengruppe ein bis zum Rande der Langsamkeit kontrolliertes Rennen fuhr. Teilweise eine Sekunde über den Zeiten im Training und Warm-Up drehte die Fünfergruppe ihre Runden, um den Boxenstopp möglichst lang hinauszuzögern. So fiel es dem zweiten Tyrrell auf der sechsten Position sogar schwer eine Lücke nach hinten aufgehen zu lassen, obwohl sich dort Christian Boll und Christian Wickom um den Logenplatz hinter der Spitzengruppe stritten. Allerdings nur drei Runden lang, denn auf der Zufahrt zur Haarnadel ging beim Emsländer in Ferrari-Diensten plötzlich gar nichts mehr. Hilflos musste er mit ansehen, wie sein vielversprechendes Rennen zu Ende ging und der Mercedes-Pilot seine siebte Position erbte. Es ist bisher nicht die Saison des Ferrari-Piloten. Nach Australien und Monte Carlo ereilte ihn nun schon der dritte Ausfall im siebten Saisonrennen. Es ist ein bisschen so wie in der Achterbahn. Jedes Mal, wenn man das Gefühl hat, dass es jetzt langsam zu passend beginnt, folgt ein herber Rückschlag. Sei es durch eigene Fehler, wie in Melbourne und Monaco, oder durch Technik-Pech, wie nun in Montreal. Dennoch liegt Boll noch innerhalb der Top Ten der Fahrerwertung. Und dabei durchaus in Reichweite zu Bastian Kupke und Christian Wickom, der sich in Montreal völlig schadlos hielt und somit als erster Pilot aus dem Verfolgerfeld am Ende des langen Rennens zum zweiten Mal in dieser Saison in die Phalanx der Top 7 einbrechen konnte und so neun wertvolle Zähler auf das Konto des Mercedes Werksteams einzahlen konnte. Für Bastian Kupke, wurde es hingegen ein ernüchternder Rennabend. „Ich hatte Probleme mit dem Sound, ich hatte Schwierigkeiten mit den Bodenwellen, und ich hatte kein gutes Setup“, berichtete der 31-jährige Bayer nach dem Rennen, „Angesichts dessen war das Resultat okay.“

Kupke war es nicht, aber ein anderer profitierte wie Boll und Wickom vom eingeschlagenen Bummeltempo an der Spitze. Patrik Hanko nämlich. Der hatte sich schon ausgangs der ersten Runde am Teamkollegen von Bastian Kupke. vorbei gearbeitet und war wild entschlossen, den verlorengegangenen Boden wieder gutzumachen. Trotz der Aufholjagd und der Vielzahl an zu überholenden Fahrzeugen wurde sein Rückstand zu Engelsiepen an der Spitze zu keinem Zeitpunkt größer als 11 Sekunden. Hankos Stationen? Heidtmann in Runde 1; Tejeda in Runde 2; Schoner in Runde 3; Jürgen Bechtel in Runde 4; Bastian Kupke in Runde 5; Jörn Dreier in Runde 6; Ludwig Conrads in Runde 8; Daniel Böhme in Runde 10 und Christian Wickom in Runde 12. Erst auf der siebten Position angekommen, schien die Aufholjagd ein wenig ins Stocken zu geraten, da aber lagen noch 41 Runden vor den 15 im Feld verbliebenen Fahrern.

Unterdessen wurde die Musik in der Spitzengruppe langsam aber sicher eine Stufe lauter, denn auch der zweite Ferrari sollte noch so seine Schwierigkeiten mit der Technik bekommen. In der 11. Runde bremste der Essener sein Fahrzeug am gewohntem Bremspunkt nach der langen Geraden vor der Schikane auf Start und Ziel runter, doch das Getriebe nahm keinen Schaltvorgang mehr an und blieb im achten (!) Gang hängen. In der anschließenden Beschleunigung war der Ferrari wehrlos gegen Stolp, der noch vor dem Zielstrich am WM-Dritten vorbeischoss. Und während der Ferrari alle Hände voll damit zu tun hatte, die wütenden weiteren Verfolger um Söllner, Bohnert und Lars Zunker abzuwehren, hatte er nur genau eine Gerade lang Zeit seine Probleme zu lösen: „Kabel raus und wieder rein und dann hoffen.  Zum Glück konnte ich dann wieder schalten und ich habe nur eine Position verloren. Das hätte auch deutlich schlimmer ausgehen können.“ atmete Engelsiepen durch, der durch seine geistesgegenwärtige Reaktion das Ferrari Team vor der Doppelnull bewahrte.

Doch die Verfolger witterten in den Problemen des Ferrari Morgenluft und versuchten, sich ebenfalls an Attacken gegen Engelsiepen. Söllner verbremste sich dabei leicht und stellte seinen Aston Martin am Kerb vor Kurve 1 quer, was Bohnert in ein hartes Bremsmanöver zwang. Zu hart, denn der Alpha Tauri blockierte seine Hinterräder und verabschiedete sich an derselben Stelle aus der Spitzengruppe wie in Runde 1 schon Hanko. Glück im Unglück: Für Bohnert ging nur die Position gegen Tobias Zunker verloren. Unglück im Glück: Von hinten tauchte immer großformatiger der Mclaren eben jenes Patrik Hankos wieder auf, der sich Ende der Runde auch des Puffers zwischen beiden,  Christian Wickom, entledigt hatte. Und es sollte nur vier Runden dauern, bis der Slowake die Lücke zum Alpha Tauri schließen konnte und mit Top-Speed Vorteil und DRS  bei erster Gelegenheit kurzen Prozess mit dem Urgestein der Liga machte. Tobias Zunker versuchte danach gar nicht erst, sich gegen Hanko zu wehren. Er stand mit den abgefahrenen Medium-Reifen mehr und mehr mit dem Rücken zur Wand in seinen Versuchen, den gelb -umrandeten Pneus bis zur Ein-Stopp -Strategie zu tragen.

Mit dem Überholmanöver gegen Zunker kam der Neuzugang nicht nur in den Genuss der vierten Position – Lars Zunker hatte sich auf seinen Medium-Reifen für eine Zwei-Stopp-Strategie entschieden und war schon in Runde 20 zur Box gekommen – sondern zum ersten mal im ganzen Rennen von  freier Fahrt. 4,2 Sekunden lag er zu diesem Zeitpunkt hinter Mario Söllner, weitere 2,3 Sekunden hinter Kai Engelsiepen und insgesamt neun Sekunden hinter Tobias Stolp.

Und was Hanko mit der freien Fahrt zu leisten im Stande war, kam für die versammelte Elite der formel1-liga.de einer schallenden Ohrfeige gleich. Der McLaren-Pilot fuhr mit abgefahrenen harten Reifen die gleichen Rundenzeiten wie Lars Zunker auf dem frischem weichen Reifen. In Riesenschritten näherte sich der Neuling dem Aston Martin von Söllner und schloss die Lücke bis zum Boxenstopp in Runde 31 vollständig. Und wenn es für den Rest des Feldes nur eine schallende Ohrfeige war, wurde Söllner vom Slowaken regelrecht verprügelt. Noch in der Anbremszone zum Boxeneingang schnappte Hanko zu und sicherte sich die Führungsposition in der Boxenstraße beim Parallelstopp gegen den Sieger der ersten beiden Saisonrennen. Diese entscheidenden Meter nutzte er, um auch nach dem Stopp vor dem Franken wieder auf die Strecke zurückzukehren, und Boxenstoppbereinigt erstmals in den Podiumsrängen aufzutauchen.

Zuvor hatte auch Ralf Bohnert den Tyrrell von Tobias Zunker hinter sich lassen können, brauchte dafür aber deutlich länger als Hanko wenige Runden zuvor. Und direkt in der Runde darauf bog der Alpha Tauri Pilot ebenfalls zum Service ab und stellte auf Zwei-Stopps um. „Der Reifenverschleiß war schlimmer als gedacht, deswegen wollte ich zweimal mit den soft-Reifen pushen um zumindest Lars auf Platz fünf von angreifen zu können“, so der WM-Dritte des Vorjahres nach dem Rennen. Dafür das Tobias Zunker in dieser Gleichung kein Thema mehr werden sollte, sorgte der Tyrrell-Pilot in der Runde nach Bohnerts Boxenstopp gleich selbst. In der Rechts-Links-Kombination auf der Zufahrt zur Haarnadel verlor der Friese seinen Dienstwagen aus der Kontrolle und schlug in die Streckenbegrenzung ein: „Ich hatte einfach keinen Hinterreifen mehr“, entschuldigte sich Zunker nach dem Rennen kleinlaut. Ein Blick auf die Zeiten untermauert das. Schon in den sieben Runden zuvor war der Rückstand des älteren Zunker Bruders auf die Spitze von 8,9 auf 15,4 Sekunden angewachsen. Ein Boxenstopp war also überfällig. Doch beim Einschlag in die Wand ging nach Baku zum zweiten mal in Folge ein Frontflügel zu Bruch, so dass zusätzlich auch noch eine Reparatur am Tyrrell erforderlich wurde. Er kam als Elfter zurück auf die Strecke, unmittelbar vor Daniel Böhme im Alpine. Und es sollte für den Tyrrell-Piloten noch schlimmer kommen. Als sein Dauerrivale der letzten Rennen, Rolando Tejeda im zweiten McLaren von seiner Crew abgefertigt wurde, kam der noch eine Sekunde vor dem schwarz-weißen Traditionsrenner zurück auf die Strecke. Das lag auch daran, dass Zunker seine weichen Reifen in den ersten Runden nicht ans arbeiten brachte, was sogar noch zwei Umläufe später Daniel Böhme zur Attacke auf den Tyrrell einlud. Doch zwei Autos nebeneinander in Turn 5 sind bei den Geschwindigkeiten einfach zu viel und es kam zur ersten Kollision zweier Fahrzeuge der Rivalen um die Team-WM. Während Böhme in Summe gleich vier Positionen einbüßte, kam Tobias Zunker deutlich glimpflicher davon. Er musste nur den starken Ludwig Conrads ziehen lassen, der bis dahin in einem eher unauffälligen, aber effizienten Rennen zwischendurch bis auf die siebte Position nach vorne gespült wurde und nach seinem Stopp kampflos zunächst die neunte Position halten sollte.

Doch trotz seines sehr beherzten Kampfes wurde Conrads am Ende nicht belohnt. Der RedBull-Pilot konnte Tobias Zunker zwar nur vier Runden lang verteidigen, lieferte sich danach aber ein sehenswertes und äußerst spannendes Duell um Position zehn mit Bastian Kupke. Doch eingangs Runde 50 ging der Haas am RedBull vorbei auf die zehnte Position. Abschütteln ließ sich Conrads aber nicht und so versuchte der RedBull-Pilot mit Unterstützung von DRS am Ende jener 50. Runde den Konter, doch vertat er sich am Bremspunkt in der letzten Schikane und verlor sein Fahrzeug, was ihn hinter Daniel Böhme und Jürgen Bechtel auf die 13.Position zurückwarf. Immerhin, die Position gegen Jörn Dreier konnte er verteidigen, so dass wenigstens 3 Punkte für RedBull gerettet werden konnten. Jörn Dreier hingegen wird froh sein, dass die Stadtkurs-Saison nun ihr Ende gefunden hat. Immerhin gab es nach zwei Ausfällen mal wieder etwas Zählbares für den Berliner, der zwei Punkte aus Montreal mit nach Hause bringen konnte. Und Haas durfte erstmals in dieser Saison sogar doppelt anschreiben. Denn der tapfere Marcel Heidtmann brachte sein Fahrzeug auf Position 15 ins Ziel.

Wer jetzt glaubt, vorne an der Spitze sei nach den Boxenstopps nichts mehr passiert, der liegt falsch. Stolp führte zunächst souverän mit 4,8 Sekunden vor Engelsiepen und etwa acht Sekunden vor Lars Zunker. Hanko lag neun Sekunden zurück und begann Druck auf den Tyrrell auszuüben, der jedoch in Runde 35 zu seinem zweiten Boxenstopp flüchtete. Ab der 37. Runde begannen Engelsiepen und Hanko damit, die Lücke zu Stolp zu schließen. War das, was Hanko bis dahin im Rennen gezeigt hat, beeindruckend, so wurde es ab Runde 44 erschreckend. Engelsiepen hatte in den Runden zuvor 1,5 Sekunden vom Vorsprung des Alpines abgeknabbert, Hanko sogar schon deren drei. Trotzdem, bei nur noch acht verbleibenden Runden schien die Messe gelesen zu sein, als der Slowake schlagartig das Tempo erhöhte. In Runde 50 war die Lücke zu Engelsiepen zu und auch Stolp nur noch 2,5 Sekunden entfernt. In der vorletzten Runde, griff der Neuzugang zu und verwies Engelsiepen auf Position drei.  Dennoch schien zumindest das Polster des Spitzenreiters groß genug zu sein, um nicht ernsthaft in Gefahr zu geraten. Doch als der Alpine einschließlich abgewunken wurde, rettete er die Winzigkeit von zwei Zehnteln über den Strich.

Es ist leicht auszurechnen, was passiert wäre, wenn das Rennen nur noch eine Runde länger gedauert hätte. Aber so war es am Ende doch noch einmal Stolp, der seinen Vorsprung in der Meisterschaft auf Engelsiepen um neun und auf Söllner sogar um zwölf Punkte ausbauen konnte. Der Franke wurde Vierter und konnte im Finale weder nach vorne etwas ausrichten, noch hatte er von hinten etwas auszustehen, denn Bohnert und Lars Zunker konzentrierten sich auf einen Kampf um die schnellste Runde. War Bohnert dem Tyrrell auf der Strecke zwar unterlegen, sicherte er sich immerhin den Zusatzpunkt. Möglich war das, weil die Lücke zum Siebtplatzierten Christian Wickom groß genug war, um keine Position mehr zu verlieren. Rolando Tejeda wurde Achter und rundete damit das beste Saisonergebnis für Mclaren-Mercedes im Jahr 2021 ab.

Für Tyrrell wurde es dagegen das schlechteste Rennwochenende des Jahres. Satte 12 Punkte büßte die Mannschaft der Zunker-Brüder auf Alpine ein, die nun mit 14 Punkten Vorsprung in der Team-Meisterschaft nach Silverstone reisen. Dennoch war man im Tyrrell-Lager nicht unzufrieden. Der Dreher von Tobias Zunker kostete zwar wieder mindestens zwei, aber die Ankunft Hankos könnte sich für Tyrrell zum Game-Changer entwickeln. Denn Tyrrell verliert im Schnitt vielleicht zwei Punkte gegenüber der vorherigen Ausbeute. Kann Hanko aber seine Form aus Montreal anknüpfen und sogar Tobias Stolp schlagen, büßt Alpine gleich mindestens sechs Zähler ein. In der Fahrer-WM scheint die Messe nach dem siebten Saisonlauf also weitgehend gelesen zu sein. In der Team-WM aber ist auf jeden Fall noch Musik drin.

Statistiken und den Rennbericht als PDF, inkl. Taktikchecks

Weitere Interessante Statistiken zum Rennen und den Rennbericht findet ihr hier zum Download:

Statistik Kanada (PDF)
Rennbericht Kanada inkl. Taktikcheck (PDF)

Rennergebnis, WM-Stand und Live-Stream

Der WM-Stand ist hier zu finden

Falls ihr das Rennen verpasst habt könnt ihr den Stream, kommentiert von Michael Merkers und Julian Kopp hier nochmals angucken: